Psychotherapie für Kinder und Jugendliche

Die Stimme der Anorexie

Es ist, als würden meine Gedanken zu mir sprechen, wenn sich in mir plötzlich wieder alles sträubt, wenn ich planen will, was ich heute esse… Die anorektische Stimme sagt mir, ich brauche das doch eigentlich nicht, eine Beilage wären zu viele Kohlenhydrate, Gebratenes ist zu fett, und ja keinen Zucker…!!! Sie hat Angst vor Kontrollverlust und warnt mich davor, wie ein Hefekloß aufzugehen…was ihrer Meinung nach wahrscheinlich über Nacht passieren könnte.

Aber sie will mir Halt geben und Orientierung, sie ermöglicht es mir mich kindlich fühlen zu können, wenn ich Angst davor habe, das Leben plötzlich alleine meistern zu müssen und Angst davor, zu versagen. Sie ist für mich da, gibt mir eine Aufgabe, wenn ich Langeweile spüre und mein Tun so sinnlos wirkt.

Doch die anorektische Stimme ist auch zickig, unnahbar und aktuell ziemlich beleidigt, weil sie im Laufe der Therapie in der Klinik und auch danach an Macht in meinem Leben verloren hat und durchs Hintertürchen versucht sie immer wieder ihre Stellung zurückzuerobern und den Ton anzugeben. Doch im Laufe meiner Selbstentwicklung hat sich neben der anorektischen Stimme eine gesunde Stimme erhoben, die sich vor allem davor gruselt, wieder zurück zu müssen in die Klinik, in die Einsamkeit und Trauer, das leblose Dahinvegetieren, weil man nicht genug Energie mehr hat, um die Welt klar zu sehen. Die gesunde Stimme möchte aktiv sein und Ausflüge oder Sport machen, Freunde treffen, Hobbies pflegen, in den Urlaub fahren, möchte Lebensfreude in mir wecken sowie Dankbarkeit, dass ich überhaupt noch da bin, für mich und alle Menschen die mir wichtig sind, wie meine Familie.

Wie man sich vorstellen kann, kommt es regelmäßig zum Kampf – ein regelrechter Zickenkrieg zwischen den beiden Stimmen. Oft fühle ich mich überfordert, aber spüre wie gut es mir tut, dass die gesunde Stimme für mich einsteht. Seitdem kann ich das selbst auch besser, für mich einstehen, meine Grenzen setzen.

Allerdings bekommt die anorektische Stimme wieder Macht, wenn meine Eltern ihre eigene Angst in Form von Kommentaren zu meinem Essverhalten abgeben. „Du nimmst immer so wenig, sparst du schon wieder ein, schau dich mal an…“. Ich weiß, dass sie mich vor einem Rückfall bewahren wollen und selbst panische Angst haben, etwas falsch zu machen. Aber alleine diese Gedanken reißen mich wie ein Sog in die alten Muster zurück, ich fühle mich klein und wieder krank, so krank, dass ich da nicht alleine rauskomme. Durch die Angst wird die Anorexie umso mehr in der Familie gehalten, hängt wie ein Schwert am seidenen Faden über unserem Alltag, vor allem, wenn wir gemeinsam essen wollen. Wie ein Gast sitzt sie mit uns am Tisch und stört das Gespräch, obwohl wie sie nie eingeladen haben.

„Bitte liebe Eltern, auch wenn ihr Angst und Sorge habt, unterstützt mit mir die gesunde Stimme, indem ihr an mich glaubt und meine Genesung. Helft mir einen positiven Flow zu bewahren, den Blick nach vorne gerichtet zu halten und mir Hoffnung zu geben, auch wenn ihr selbst zweifelt und es eigentlich leid seid. Aber wir haben doch alle das gemeinsame Ziel – dass die anorektische Stimme endlich auszieht. Das wird sie nur tun, wenn wir alle sie auch auf allen Ebenen loslassen. Bitte helft mir dabei.“

(Zusammenfassung verschiedener Zitate einer von Patientinnen während der Therapiesitzungen)

DRÜCK DIE innere stopptaste und ändere deinen blickwinkel!